Hebammenlehrinstitut (1818–1904)

Der schlechte Ausbildungsstand der um die Wende zum 18. Jahrhundert tätigen Hebammen – viele von ihnen konnten nicht lesen und schreiben – führte dazu, dass seinerzeit in vielen größeren Städten Hebammenlehrinstitute gegründet wurden. In Wittenberg war bereits Ende des 18. Jahrhunderts eine solche Einrichtung angeregt worden. Die LEUCOREA richtete 1807 ein Extraordinariat für Geburtshilfe ein, mit dem das Direktoriat der Hebammenschule verbunden sein sollte. Es gibt Hinweise, dass diese Schule auch tatsächlich noch zu Zeiten der Universität gegründet wurde. Zu einem wirklichen Dauerbetrieb kam es aber wohl erst ab 1818.

Nach dem Wechsel zu Preußen galt in Wittenberg das preußische Medizinalrecht, das zu dieser Zeit führend in den deutschen Staaten war. Darin war auch geregelt, dass die Ausübung einer Hebammentätigkeit dreierlei voraussetzt: eine Ausbildung, eine Prüfung und eine Approbation. Die Kurse dauerten fünf Monate.

Durch die Tätigkeit von Dr. Ottomar Wachs am Institut von 1854 bis 1888, ab 1864 als Direktor, entstand auch eine Einbindung der Anstalt ins wissenschaftliche Leben. Wachs schrieb sich durch diverse wissenschaftliche Arbeiten in die Geschichte der Geburtshilfe ein: Er verfasste Arbeiten zur Organisation des Hebammenwesens, eine Monografie über den „Wittenberger Kaiserschnitt“ von 1610 und eine ausführliche Stellungnahme zum verbindlich vorgeschriebenen preußischen Hebammenlehrbuch.

Gedenktafel in Wittenberg

Eine andere Wirkung erzielte das Institut durch die Arbeit seiner Absolventinnen. Die berühmteste unter diesen war Olga Gebauer (1858–1922). Sie absolvierte nach einem Lehrerinnenexamen 1884/85 die Hebammenausbildung und ging dann nach Berlin. 1886 gründete sie die „Berliner Hebammenzeitung“, leitete während vieler Jahre den praktischen und theoretischen Hebammenunterricht in Berlin, und schließlich war sie Initiatorin sowie maßgebliche Organisatorin bei der Gründung des Deutschen Hebammenvereins.

In Wittenberg allerdings waren die räumlichen Verhältnisse des Hebammeninstituts prekär geblieben. Infolgedessen wurde die Einrichtung 1904 wieder geschlossen.

Literatur

Modul der Ausstellung „Wittenberg nach der Universität“ (2002): „Medizinalentwicklung in Wittenberg nach der Universität“

Wolfgang Böhmer/Elisabeth Ehrig: Das Wittenberger Hebammenlehrinstitut, in: Wolfgang Böhmer/Elisabeth Ehrig/Heinrich Kühne, Zur Geschichte des Wittenberger Gesundheits- und Sozialwesens – Teil III. Das 19. Jahrhundert, Stadtgeschichtliches Museum Wittenberg, Wittenberg 1984, S. 31–40

Ottomar Wachs: Die Organisation des preußischen Hebammenunterrichts nach den Anforderungen der Gegenwart, Verlag von Otto Wigand, Leipzig 1874

Julie Gebauer: Lehrzeit in Wittenberg, in: dies., Erinnerungen an Olga Gebauer, Elwin Staude Verlagsbuchhandlung, Osterwieck-Harz 1930, S. 8–13

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