Wissenschaft und Höhere Bildung in Wittenberg nach 1817

Seit der Vereinigung von LEUCOREA und hallescher Universität 1817 gab es in Wittenberg zwar kein akademisches Leben im engeren Sinne mehr. Sehr wohl jedoch fanden am Ort auch weiterhin Wissenschaft und Höhere Bildung statt. Preußen, Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Regime und DDR hatten daran ihren jeweils eigenen Anteil.

Als Ausgleichsmaßnahmen für den Verlust der Universität erhielt Wittenberg ein Evangelisches Predigerseminar (gegründet 1817) und ein Hebammenlehrinstitut (1818–1904). Die 1883 eröffnete Lutherhalle entwickelte sich zu einem Ort der auch wissenschaftlichen Befassung mit dem reformatorischen Erbe. 1927 wurde das Kirchliche Forschungsheim gegründet. Die Industrialisierung brachte Industrieforschung in den Wittenberger Stadtteil Piesteritz. 1975 bis 1991 bestand ein wissenschaftliches Zentrum für Umweltschutz. Weitere Einrichtungen der Wissenschaft und Höheren Bildung rundeten dies ab.

Überblicksliteratur

Peer Pasternack: 177 Jahre. Zwischen Universitätsschließung und Gründung der Stiftung Leucorea: Wissenschaft und Höhere Bildung in Wittenberg 1817–1994, hrsg. von der Stiftung Leucorea, Drei Kastanien Verlag, Wittenberg 2002

Zum 500. Gründungsjubiläum der Wittenberger Universität im Jahre 2002 publiziert, widmet sich Darstellung der Zeit, in der Wittenberg kein universitärer Standort war. Gefragt wird danach, inwieweit auch ohne den institutionellen Hintergrund einer Universität Wissenschaft und Höhere Bil­dung in Wittenberg existierten. Unterschieden wird dabei zwischen reformationsbezogenen und nichtre­formationsbezogenen Aktivitäten: Welche Rolle spielte Wittenberg in den geschichts­politischen Verarbeitungsversuchen der Reformation und welche Entwicklung dabei die reformationshistorische Infrastruktur der Stadt Wittenberg? Inwiefern fortexistierte bzw. entstand Wissenschaft und Bildung nach der Universität – aus Gründen der technologisch-industriellen Innovation oder der zunehmenden Verwissenschaftlichung zahlreicher gesellschaftlicher Bereiche, aus strukturpolitischen Gründen, die zur Ansiedlung nichtuniversitärer Forschungs- und Bildungseinrichtungen führten, oder aus kulturellen Motiven etwa bürgerlicher Bildungsbedürfnisse?

Jens Hüttmann (Hg.): Wittenberg nach der Universität. Begleitheft zur Ausstellung, unt. Mitarb. v. Stefanie Götze und Peer Pasternack, Wittenberg 2002

Beleuchtet werden die – im einzelnen sehr unterschiedlich ausgefallenen – Kontinuitätsbrüche, welche die Stadt nach der Universitätsaufhebung 1817 erfahren hat. In Anknüpfung an die vier Universitätsfakultäten wird Wittenberg als Ort theologischer Ausbildung, der medizi­ni­schen Ausbildung und Versorgung, als Ort des Rechts sowie als Ort propädeuti­scher Ausbildung und naturwissenschaftlicher Forschung vorgestellt – ge­kenn­zeichnet durch das Charakteristikum, all dies trotz Universitätsschließung im Jahre 1817 geblieben oder später wieder geworden zu sein.

Jens Hüttmann/Peer Pasternack (Hg.): Wittenberg nach der Universität. Eine historische Spurensicherung, Wittenberg 2003ff.

Als Beitrag des Instituts für Hochschulforschung (HoF) war 2002 zum 500jährigen Gründungsjubiläum der Universität Halle-Wittenberg im Wittenberger Schloss die Ausstellung „Wittenberg nach der Universität“ gezeigt worden. Die Netzpräsen­tation dieser Ausstellung bildet den Mittelpunkt der Online-Veröf­fent­li­chung. Erweitert ist dies um weitere Materialien zum Thema.

Jens Hüttmann/Peer Pasternack (Hg.): Wissensspuren. Bildung und Wissenschaft in Wittenberg nach 1945, Drei Ka­s­ta­nien Verlag, Wittenberg 2004

Der Band stellt umfassend die Geschichte von Bildung und Wissenschaft in Wittenberg zwischen 1945 und 1994 dar. Dabei sind gleichgewichtig die reformationsbezogenen und die nicht reformationsbezogenen Einrichtungen und Aktivitäten berücksichtigt. Als Autor.innen wirken sowohl Wissenschaftler als auch Zeitzeugen mit. Nicht zuletzt interessiert die Zeit zwischen 1945 und 1994 deshalb, weil sie zwei grundstürzende Systembrüche und die 40 Jahre DDR einschloss.

Kulturwissenschaften

Museen und Archive

Wittenberg hatte im 19. und 20. Jahrhundert vier Museen: die Lutherhalle, das Melanchthonhaus (seit 1967), das Natur- und Völkerkundemuseum „Julius Riemer“ (1953–2011) und … mehr

Naturwissenschaften

Höhere Bildung

Der ein wenig barock anmutende Begriff ‚Hö­here Bildung’ kann nicht umstandslos durch das heute übliche ‚Bildung im tertiären Sektor’ ersetzt werden. Denn im 19. Jahrhundert fand die Wanderung wesentlicher Teile der Wissenschaftspropädeu­tik aus – in heutigen Bezeichnungen – dem tertiären in den Sekundarbereich statt. Dies geschah vor allem dadurch, dass den Gymnasien im Zuge der preußischen Bildungsreformen neue Aufgaben zugewiesen wurden. Die Geschichte des ersten Wittenberger Gymnasiums, des heutigen Luther-Melanchthon-Gymnasiums, weist Spuren bis zurück ins Jahr 1371 auf. Im Rahmen des 200jährigen Bestehens der Universität wurde die Schule als „Lyceum“ benannt. Seit 1827 trug die „Hohe Schul“ zusätzlich die Bezeichnung „Königliches Gymnasium“, wurde 1919 in „Staatliches Melanchthon-Gymnasium“ umbenannt und hieß in der DDR EOS „Philipp Melanchthon“. Daneben entstanden in der DDR zwei weitere Erweiterte Oberschulen: die EOS „Martin Luther“ und die EOS „Lucas Cranach“ im Stadtteil Piesteritz.

Modul der Ausstellung „Wittenberg nach der Universität“ (2002): „Bildung und Tradition am Melanchthon-Gymnasium – der ersten ‚Hohen Schul‘ zu Wittenberg

Literatur

Franz Ernst Heinrich Spitzner: Geschichte des Gymnasiums und der Schulanstalten zu Wittenberg, aus den Quellen erzählt, Verlag C.H.F. Hartmann, Leipzig 1830

In Ergänzung der mehrfach bearbeiteten Geschichte der Stadt Wittenberg und ihrer Universität legte der damalige Direktor des Gymnasiums eine Geschichte desselben vor. Denn „bei dem Glanze jener Hochschule“ sei „das stille und bescheidene Verdienst, das sich die hiesigen Schulen um Licht und Wahrheit, um Bildung und Veredelung der Jugend erwarben, eine geraume Zeit hindurch, übersehn, ja zuweilen vernachlässigt“ worden. Die Darstellung endet 1828, als das vormalige Lyzeum von der Bürgerschule getrennt und zu einer für sich bestehenden Anstalt erhoben wurde.

[Wilhelm] Bernhardt: Das Gymnasium zu Wittenberg in den Jahren 1828-1868. Eine Fortsetzung zu dem Werke von Dr. Franz Spitzner, Wittenberg 1868, 79 S.

Im Anschluss an Spitzner (s.o.) wird die Geschichte des Gymnasiums der zum Veröffentlichungszeitpunkt zurückliegenden 40 Jahre berichtet.

Ludwig Adolf Wiese: Wittenberg, in: ders., Das höhere Schulwesen in Preußen, Historisch-statistische Darstellung, im Auftrage des Ministers der geistlichen , Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten,Verlag von Wiegandt und Grieben, Berlin: Bd. 1, 1864, S. 259f.; Bd. 2: 1864–1868 (1969), 1869, S. 244f.; Bd. 3: 1869–1876 (1874), 1874, S. 219f.; Bd. 4: 1874–1901 (1902), hrsg. von B. Irmer, 1902, S. 399f.

Programm des Gymnasiums womit zur öffentlichen Prüfung der Schüler am 24. und 25. März, vormittags 9 Uhr und zu der feierlichen Entlassung der Abiturienten am 25. März nachmittags 3 Uhr ehrerbietigst und ergebenst einladet Dr. Hermann Schmidt. Director des Gymnasiums, Wittenberg 1847

Festschrift zur Feier der Einweihung des Neuen Gymnasialgebäudes zu Wittenberg am 10. Januar 1888. Veröffentlicht vom Lehrerkollegium, Wittenberg o.J. [1888]

Neben gelehrten Beiträgen von Lehrern des Gymnasiums enthält das Werk eine Darstellung „Das Gymnasium zu Wittenberg von 1520 bis 1868“ und ein „Verzeichnis der Schüler, welche seit Ostern 1817 das Gymnasium zu Wittenberg mit dem Zeugnis der Reife für die Universitätsstudien verlassen haben“, beide von Wilhelm Bernhardt.

Heinrich Guhrauer: Ein seltener Briefwechsel von Guhrauer an Konrad v. Massov [1897], in: Heimatkalender Lutherstadt Wittenberg und Landkreis Wittenberg 2012, Drei Kastanien Verlag 2012, Lutherstadt Wittenberg 2012, S. 80–87

Dem großen Namen verpflichtet. Melanchthon-Gymnasium Lutherstadt Wittenberg 1897–1997. Festschrift zur 100-jährigen Namensgebung, o.O. o.J. [Wittenberg 1997]

Historische Übersicht zur Geschichte des Melanchthon-Gymnasium. Teil 1: Von den Anfängen bis zum Jahre 1897. Teil II: 1898–1945, o.O. o.J. [Wittenberg 1997]

Einleitend eine Zeittafel zur Wittenberger Schulgeschichte seit dem 14. Jahrhundert. Sodann Zeittafeln zu den 100 Jahren seit 1897, als das Gymnasium den Namen „Melanchthon“ erhielt.

Programm des Melanchthon-Gymnasiums zu Wittenberg. Ostern, Fr. Wattrodt, Wittenberg 1897–1911

1897 | 1898 | 1899 | 1900 | 1901 | 1902 | 1903 | 1904 | 1905 | 1906 | 1907 | 1908 | 1909 | 1910 | 1911 | 1911 (Beilage)

Das Wandgemälde in der Aula des Melanchthon-Gymnasiums zu Wittenberg. Mit einer Erläuterungstafel, P. Wunschmanns Verlag, Wittenberg 1902

Barbara Geitner/Heidrun Rößing/Ariane Schröter/Maria Bothe/Susanne Hoffmann/Victoria Kamphausen: Das Melanchthon-Gymnasium Wittenberg, in: Jens Hüttmann/Peer Pasternack (Hg.), Wissensspuren. Bildung und Wissenschaft in Wittenberg nach 1945, Wittenberg 2004, S. 344–351

Hildegard Rühmigen: Die Lucas-Cranach-Schule in Piesteritz, in: Jens Hüttmann/Peer Pasternack (Hg.), Wissensspuren. Bildung und Wissenschaft in Wittenberg nach 1945, Wittenberg 2004, S. 352–369

Lucas-Cranach-Gymnasium (Hg.): Das LCG im Wandel der Zeit (=Tarantel Sonderausgabe Oktober ’99), Wittenberg 1999

Anlass dieser Sonderausgabe der Schülerzeitschrift des Lucas-Cranach-Gymnasiums war der 50. Jahrestag der Schulgründung, seinerzeit eingerichtet im früheren Piesteritzer Rathaus. Es wird ein Einblick in die Zeit von den 1950er bis in die 90er Jahre gegeben, vor allem mit Erlebnisberichten früher Schüler.innen und Lehrer.innen.

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