Die Universitätsbibliothek

Die Bibliotheca Electoralis, der Aufbau der Universitätsbibliothek und ihre Überführung nach Weimar nach dem Ende des Schmalkaldischen Krieges

Ausgangspunkt für den Aufbau der Wittenberger Universitätsbibliothek war die Bibliotheca Electoralis, die kurfürstliche Büchersammlung, 1512 von Friedrich dem Weisen als Schlossbibliothek eingerichtet. Die Anfänge der Wittenberger Schlossbibliothek vor dem Aufbau der Bibliotheca Electoralis gehen weit in das 15. Jahrhundert zurück, als die sächsischen Herzöge aus dem Hochadelsgeschlecht der Askanier eine „Bibliothek“ mit geistlichen, höfischen und historiografischen Werken im Schloss anlegten. Der Bestand wurde in einem Katalog aus dem Jahr 1437 erstmals verzeichnet. Ein verstärktes Interesse an der Bibliothek und literarische Bestrebungen setzten allerdings erst in den 1490er Jahren ein, als der junge Kurfürst Friedrich III. kultur- und literaturbegeisterte Persönlichkeiten am Hof sammelte und eine intellektuelle Atmosphäre im Geist des Humanismus entstand, die letztlich zur planmäßigen Erweiterung der Schlossbibliothek und zur Universitätsgründung führte.

Mit der Erweiterung der Büchersammlung im Schloss ab 1512 erläuterte der Kurfürst seine Beweggründe und betonte: Der Aufbau der Bibliothek in seiner Wittenberger Residenz solle Lehrern wie Schülern der Universität dienen und die gerade erst gegründete LEUCOREA fördern.

Universitätsbibliothek Wittenberg, Portalbeschriftung

Mit der Aufsicht wurde der Humanist und kurfürstliche Sekretär Georg Spalatin betraut. Er trieb in der Folgezeit den Ausbau der Bibliothek und die Sicherung ihrer Finanzierungsgrundlagen voran. Die italienischen und französischen Buchmärkte wurden sondiert, um den gezielten Aufbau der Sammlung mit qualitativ hochwertigen Büchern zu ermöglichen. Durch die Reformation in Kursachsen kamen auch wertvolle mittelalterliche Handschriften aus aufgelösten Klöstern in den Bestand.

1536 wurde die Bibliothek im Südflügel des Schlosses neu aufgestellt, ihre Verwaltung im 16. Jahrhundert allmählich institutionalisiert. 1536 umfasste die Bibliothek 984 Bände mit 1.600 Titeln (es wurden z.T. mehrere Autoren und Titel zusammengebunden). Im gleichen Jahr wurde zudem ein erster Bibliothekskatalog in zwei Teilen erstellt, ein systematischer und ein Autorenkatalog. 1547 verfügte die Bibliothek dann über 3.132 Bände.

Nach der Niederlage der Ernestiner im Schmalkaldischen Krieg mussten sich diese 1547 auf ihre verbliebenen Thüringer Besitztümer zurückziehen. Dabei wurde auch die LEUCOREA-Bibliothek aus Wittenberg abtransportiert und in Kisten und Fässern zunächst nach Weimar gebracht, wo sie im Franziskanerkloster eingelagert wurde. Ein Teil der Wittenberger Handschriften und Drucke blieb dann in Weimar als Bibliothek Johann Friedrichs II. Der Großteil der vormaligen LEUCOREA-Bibliothek, etwa 1.500 Bände, wurde aber 1549 in das Dominikanerkloster nach Jena transportiert.

Dort bildete er nach der Gründung der Universität Jena 1558 – bereits 1548 war die Vorgängereinrichtung „Paedagogium provinciale“ eröffnet worden – die Grundlage für den Aufbau der dortigen Universitätsbibliothek. Die Bibliothek Johann Friedrichs II., die zunächst in Weimar verblieb und dann ebenfalls nach Jena überführt worden war, wurde von den kurfürstlichen Räten in Leipzig 1573 seinen Söhnen zugesprochen. 1589 forderte Johann Casimir von Sachsen-Coburg dieses Erbe ein, woraufhin diese Bibliothek 1590 nach Coburg verbracht wurde.

Eingang Universitätsbibliothek Wittenberg (Zustand 2020)

Die Bibliotheca Electoralis befindet sich heute im Bestand der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek in Jena (ThULB) und ist mittlerweile komplett digitalisiert worden (Recherche im Bestand oder hier). Ebenfalls überliefert und digitalisiert sind Handschriften. Besonders wertvolle Quellen stellen die historischen Wittenberger Bibliotheksverzeichnisse (z.B. Alphabetischer Katalog der Kurfürstlichen Bibliothek zu Wittenberg von 1536) und Anschaffungslisten für Bücher dar (z.B. Liste anschaffenswerter Bücher für die Kurfürstliche Bibliothek zu Wittenberg, 1. Hälfte 16. Jh., geschrieben von Georg Spalatin). Der kleinere Teil der früheren Wittenberger Universitätsbibliotheksbestände, der von Jena nach Coburg überführt worden war, könnte heute nur durch einen Abgleich des Jenaer Bibliotheksbestands mit Wittenberger Bibliotheksverzeichnissen ermittelt werden, und dies wohl auch nur teilweise.

Auch die Sammlung des Theologen Georg Rörer, der in Wittenberg studiert hatte und zu den engsten Mitarbeitern Martin Luthers zählte, liegt in Jena komplett digitalisiert vor. Sie gehört zu den bedeutendsten Quellensammlungen zur Reformation (Digitalisierungsprojekt der Sammlung Georg Rörer). Rörer hatte 1522 begonnen, Vorlesungen und Predigten Luthers und anderer Wittenberger Theologen aufzuzeichnen. In den folgenden Jahren erweiterte er seine Sammlung planvoll, erstellte Hefte und Bände und fügte auch Briefe hinzu. Sein früherer Landesherr Johann Friedrich von Sachsen holte Rörer mit seiner handschriftlichen Sammlung 1553 nach Jena, um mit der Sammlung zur Kontinuität der Wittenberger Theologie beizutragen. So gelangte die Sammlung, die kein Bestandteil der Bibliotheca Electoralis war, in die neue kurfürstliche Bibliothek in Jena, mit der sie dann in die heutige Thüringer Universitäts und Landesbibliothek kam.

Ein weiteres Beispiel für personenbezogene Sammlungen Wittenberger Alumni und Professoren ist die „Amsdorffiana“, die Sammlung Nikolaus von Amsdorffs. Sie befand sich zunächst im Bestand der ThULB und wurde mittlerweile an die Thüringische Landesbibliothek zu Weimar überführt (ediert in Reihert: Amsdorff und das Interim, Leipzig 2011).

Der Neuaufbau der Bibliothek in Wittenberg, ihre Professionalisierung und Bestandserweiterung

In Wittenberg begann nach 1547 der Neuaufbau einer Bibliothek. Der Erwerbungsetat zur Anschaffung neuer Bücher blieb jedoch zunächst gering. Schenkungen und Stiftungen waren daher die wesentliche Grundlage für den Neuaufbau. Neben dem zentralen Bibliotheksbestand wurde 1580 eine Arbeitsbibliothek für die kurfürstlichen Stipendiaten im Collegium Augusteum eingerichtet. Zudem bauten die höheren Fakultäten eigene Bibliotheken auf. 1598 zog die zentrale Universitätsbibliothek aus dem Schloss in das Augusteum um, ein bedeutender Neubeginn für die weitere Bibliotheksgeschichte.

Das 17. und 18. Jahrhundert standen vor allem im Zeichen einer Professionalisierung der Bibliotheksverwaltung und der Bestandserweiterung. So wurden 1617 eine Kommission von Fakultätsvertretern als Aufsichtsgremium der Bibliothek eingesetzt, 1623 eine erste Bibliotheksordnung erlassen (übersetzt abgedruckt in Herricht: Zur Geschichte der Universitätsbibliothek Wittenberg, Halle/S. 1977) und am Ende des Jahrhunderts erstmals „Bibliothekare“ gesondert ausgewiesen. In dem vom Bibliothekar und Orientalisten Andreas Sennert erstellten Bibliothekskatalog waren 1678 etwa 1.300 Bücher verzeichnet. Am Ende des Jahrhunderts hatte die Bibliothek, vor allem durch private Vermächtnisse, einen Bestand von 4.390 Werken.

Porträt Johann August von Ponickau (1718–1802)

Insbesondere durch Hinterlassenschaften von Professoren und den gezielten Erwerb von Gelehrtenbibliotheken gelang es im 18. Jahrhundert, den Bestand bedeutend zu erweitern. Darunter befand sich auch die Bibliothek des sächsischen Geheimen Kriegsrats Johann August von Ponickau. Er vermachte 1789 nicht nur seine Büchersammlung der LEUCOREA, sondern stiftete auch die finanzielle Grundlage ihrer Verwaltung. Später kontinuierlich erweitert, ist sie eine einzigartige Sammlung von literarischen und anderen Zeugnissen zur Geschichte und Geografie der früheren preußischen Provinz Sachsen und der anhaltinischen Gebiete, des Königreichs Sachsen und Thüringens (Bestandsverzeichnis der von der ULB Halle digitalisierten Sammlung Ponickau im Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek).

Ebenfalls der Universität gestiftet worden war die Bibliotheca Nationis Hungaricae (Ungarische Nationalbibliothek). Stifter war der ungarische Exilant Georgius Michaelis (1640–1725), der sich nach seinem Heimatort Kaschau den Namen „Cassai“ gegeben hatte. Er lebte seit 1675 in Wittenberg, hat dort studiert, promoviert und seit 1712 als Dekan der Philosophischen Fakultät gewirkt. 1725 errichtete er eine Stiftung für die in Wittenberg studierenden Ungarn. Ihnen sollten auch seine ca. 2.000 Bücher an wissenschaftlicher Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, darunter mehr als 300 Unikate altungarischer Drucke, zur Verfügung stehen.

1755 erfuhr der Bestand durch den Ankauf der „Manuscripta Rotaridis“, der Sammlung des 1747 in Wittenberg verstorbenen ungarischen Handschriftensammlers und Literaten Michael Rotarides, eine wertvolle Erweiterung. Diese beinhaltet außer den Manuskripten von Cassai und Rotarides eine Anzahl von Manuskripten, die ungarische Studenten bis ins 19. Jahrhundert hinein der Bibliothek überwiesen hatten.

Im Siebenjährigen Krieg wurde Wittenberg Festungsstadt, und die LEUCOREA litt unter den Zerstörungen und militärischen Einquartierungen. Die Universitätsbibliothek war jedoch zunächst von der militärischen Zweckentfremdung ihrer Räumlichkeiten nicht betroffen. Mittelfristig hatte der Krieg allerdings auch für sie erhebliche Folgen. Angesichts der kriegsbedingten Schäden und Belastungen für die Universität war der Finanzspielraum für Investitionen in den Bibliotheksbestand gering. Dies betraf z.B. auch die Ponikausche Bibliothek, für deren Aufbewahrung Schulden aufgenommen werden mussten.

Beschuss Wittenbergs im Siebenjährigen Krieg 1760, Quelle: Wikimedia

Zudem waren zahlreiche Privatbibliotheken von Professoren zerstört worden. Somit waren Schenkungen von Büchern oder die testamentarische Übereignung ganzer Sammlungen aus diesen Privatbeständen an die Bibliothek nicht mehr möglich. Im Zuge der Napoleonischen Kriege am Beginn des 19. Jahrhunderts war die Bibliothek erneut von kriegsbedingten Folgen betroffen (siehe dazu Universitätsarchiv).

Universitätsvereinigung mit Halle und der Verbleib der LEUCOREA-Bibliothek

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte sich der Bestand der Bibliothek aus etwa 20.000 Büchern sowie rund 30.000 kleineren Schriften zusammen, hinzu kamen die Sammlungen der Gelehrtenbibliotheken. Die Universitätsvereinigung 1817 bedeutete das Ende der Wittenberger Universitätsbibliothek in ihrer bisherigen Form.

Etwa ein Drittel ihres vormaligen Bestands, die theologischen und philosophischen Werke, wurde in die Bibliothek des in Wittenberg neu gegründeten Evangelischen Predigerseminars überführt. Dieser Bestand bildete dort die Grundlage für den Aufbau der Seminarbibliothek. Der Gründungsrektor des Predigerseminars Heinrich Leonhard Heubner soll der Anweisung der preußischen Regierung, die Bibliothek bis auf wenige definierte Ausnahmen nach Halle zu überführen, dadurch begegnet sein, dass er sehr restriktiv definierte, was kein Bibliotheksgut sei, somit auch nicht zur Bibliothek gehöre und folglich nicht nach Halle überführt werden müsse. Konkret waren es ca. 14.000 Buchbinderbände, die im Predigerseminar verblieben, 10.000 zum großen Teil in Wittenberg entstandene Dissertationen sowie mehr als 4.000 Leichenpredigten aus dem mitteldeutschen Raum. Auch die Bibliothek des alten Wittenberger Franziskanerklosters ist im Bestand vorhanden, darunter ca. 250 Inkunabeln.

Bei der dann einsetzenden Bestandserweiterung profitierte die Bibliothek des Predigerseminars zum einen von zwei Schenkungen Königs Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) – der 12.000 Bände umfassenden Gelehrtenbibliothek Heubners sowie der Sammlung des Halberstädter Oberdompredigers Christian Friedrich Augustin (1771–1856), die jedoch langfristig in den Bestand der Lutherhalle überging. Zwischen Predigerseminar und Lutherhalle bestand auch eine enge personelle Verbindung, da Dozenten des Predigerseminars fast ein halbes Jahrhundert lang auch die Lutherhalle betreuten. Zum anderen – und damit einhergehend – verfolgte man eine Erwerbungsstrategie, die dem reformatorischen Erbe, aber auch der Funktion des Predigerseminars als Lehrstätte für angehende Pfarrer Rechnung trug.

Einen wichtigen Beitrag zur Erschließung des im Predigerseminar aufbewahrten akademischen Schrifttums leistete Heinrich Kramm mit einer 1941 erschienenen bibliografischen und historischen Einordnung der Wittenberger Universitätsschriften. Die vormaligen LEUCOREA-Bibliotheksbestände des Predigerseminars sind heute Teil der Reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek. Demnächst ist dort geplant, Kataloge der Handschriften, die im Predigerseminar verblieben waren, für die digitale Nutzung aufzubereiten.

Hauptgebäude ULB Halle (erbaut 1878), Quelle: Wikimedia

Der Hauptteil der LEUCOREA-Bibliothek, etwa 45.000 Bände, wurde nach und nach in den Bestand der Universitätsbibliothek Halle (ULB) überführt. Das betraf auch die umfangreiche Ponickauische Sammlung, die bis 1841 nach Halle gebracht worden war. Mittlerweile ist diese Sammlung vollständig von der ULB Halle digitalisiert worden (Link zum Digitalisierungsprojekt). Sie ist allerdings nicht als Sammlungszusammenhang „Ponickauische Bibliothek“ digital verfügbar, sondern nur als nicht isolierbarer Teil des Digitalisierungsprojekts „Drucke des 17. Jahrhunderts“ (innerhalb dieses Bestands sind Selektionen möglich nach Autoren/Beteiligten, Textgattungen, Verlagsorten und Dokumenttypen). Als Ponickauische Sammlung lassen sich die digitalisierten Titel aber über den Katalog der Deutschen Nationalbibliothek isolieren, und zwar insgesamt 10.352 Titel. Wir haben diese aus dem DNB-Katalog extrahiert und in eine Datei überführt.

Zahlreiche Bücher der Wittenberger Universitätsbibliothek sind zudem im Rahmen der von der DFG geförderten Digitalisierungsprojekte der Drucke des 16., 17. und 18. Jahrhunderts (VD 16, 17 und 18) online verfügbar gemacht worden. Auf etliche der Werke aus dem früheren LEUCOREA-Bestand wird auf unserer Website verwiesen bzw. verlinkt (siehe auch den Link zum Digitalisierungsprojekt der ULB Halle im Rahmen von VD 16, 17 und 18).

Zur Literatur

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