Die Spruchtätigkeit der Wittenberger Universitätsjuristen

Die Wittenberger Juristen wurden, wie ihre Kollegen im ganzen Alten Reich, seit dem Spätmittelalter um Rechtsgutachten gebeten. Diese alltägliche Arbeit der Rechtsgelehrten brachte ihnen einen attraktiven Zuverdienst ein.

Zunächst handelte es sich um Einzelgutachten. Als Quellen sind diesbezüglich für die LEUCOREA vor allem die Sammlungen von Henning Göde und Hieronymus Schurff von Bedeutung. Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurde die Praxis, Rechtsgutachten von der Juristischen Fakultät einzuholen, institutionalisiert. Es wurde im Reich üblich, dass nach der Beweisaufnahme in einem Gerichtsverfahren alle Akten an eine Juristische Fakultät oder an Schöffenstühle versendet wurden. Nach Begutachtung der Akten wurden die Urteile vorformuliert und an das zuständige Gericht mit den Akten zurückgeschickt, wo das Urteil rechtsverbindlich verkündet wurde. Juristenfakultäten und Schöffenstühle wurden dadurch feste Bestandteile der Rechtsprechung.

Bis ins 19. Jahrhundert blieb dieses Einholen von Gutachten der Rechtsprofessoren gängige Praxis. Die Gutachtertätigkeit der Juristischen Fakultät betraf dabei alle Rechtsgebiete: von einfachen Bagatellen bis zu komplizierten Rechtsfragen, von eher unspektakulären Rechtstreitigkeiten bis hin zu den Hexenprozessen der Frühen Neuzeit. Auch über die Verhängung der Todesstrafe wurde entschieden.

In Kursachsen wandten sich die Gerichte und andere Konsulenten entweder nach Leipzig oder nach Wittenberg, in denen jeweils Juristenfakultät und Schöffenstuhl ansässig waren. Bei Strafsachen wurde der Wittenberger Schöffenstuhl häufiger konsultiert als die Juristenfakultät. Die Rechtsprofessoren waren in beiden Kollegien Mitglieder. Das Wittenberger Spruchkollegium wurde aber auch von Fürsten, Behörden, Gerichten, Städten und Privatpersonen aus weiten Teilen des Alten Reichs in Anspruch genommen. Überliefert sind aus dieser Tätigkeit rund 2.000 Gutachten- und Urteilskonzepte, die zwischen 1502 und 1817 erstellt worden waren.

Quellen

Henning Göde: Consilia reverendi et clarissimi ac ingenio eruditione & usu excelentissimi utriusque iuris Doctoris domini Henningi Goden [Auswahl von Einzelgutachten aus der Frühphase der Juristischen Fakultät], Typis, Wittenberg 1544

Nach dem Tod von Henning Göde veröffentlichte Sammlung von Einzelgutachten von Rechtsgelehrten der Juristischen Fakultät, u.a. eines zur Königswahl Karls V., das Göde erstellt hatte. Die Sammlung verdeutlicht die Gutachtertätigkeit in der frühen Phase der Juristischen Fakultät nach der Gründung der Universität Wittenberg. Es sind überwiegend lateinische, aber auch einige deutsche Kommentare bzw. Gutachten enthalten.

Beschlüsse der juristischen Fakultät betreffend die Spruchtätigkeit, in: Walter Friedensburg (Bearb.), Urkundenbuch der Universität Wittenberg, Teil: 1502–1611, Magdeburg 1926, Nr. 45, S. 67f.

Archivbestand „Juristenfakultät Wittenberg als Spruchkollegium 1575–1815“ im Sächsischen Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden: Bestand 10087, Umfang 31,6 Meter – Online-Findbuch

Ein kleinerer Teil der Urteilsbücher der Juristischen Fakultät findet sich im Bestand des Universitätsarchivs Halle – Link zur Bestandsbeschreibung

Literatur zur Organisation und Wirkung der Spruchtätigkeit

Rolf Lieberwirth: Die Außenwirksamkeit der Wittenberger Juristenfakultät. Eine Studie, in: Hans Hübner/Burchard Thaler (Hg.), Die Universität Halle-Wittenberg in Vergangenheit und Gegenwart (Beiträge zur Universitätsgeschichte H. 50), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale) 1983, S. 5–19

Heiner Lück: Die Spruchpraxis der Wittenberger Juristenfakultät im letzten Jahrhundert ihres Bestehens unter besonderer Berücksichtigung ihrer Wirksamkeit außerhalb Kursachsens, in: Karl Czok (Hg.), Wissenschafts- und Universitätsgeschichte in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert, Akademie-Verlag, Berlin [DDR] 1987, S. 119–125

Heiner Lück: Die Spruchtätigkeit der Wittenberger Juristenfakultät. Organisation – Verfahren – Ausstrahlung, Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 1998, 347 S. – Inhaltsverzeichnis

Die Monografie untersucht die Arbeit des Spruchkollegiums der Juristenfakultät, also deren rechtspraktische Tätigkeit, von 1502 bis 1817. Deutlich wird dabei zweierlei: Einerseits war die Wittenberger Juristenfakultät in die Gerichtsverfassung des kursächsischen Territorialstaates integriert; sie hat früher als andere Juristische Fakultäten die Sprüche in Urteilsform mit Verbindlichkeit für den Auftraggeber vorformuliert. Andererseits wurde das Wittenberger Spruchkollegium weit über Kursachsen hinaus in Anspruch genommen.

Rolf Lieberwirth: Zur Spruchtätigkeit der Juristenfakultäten Wittenberg und Halle, in: ders., Rechtshistorische Schriften, hrsg. von Heiner Lück, Böhlau Verlag, Köln 1997, S. 219–226

Heiner Lück: Alma Leucorea. Eine Geschichte der Universität Wittenberg 1502 bis 1817, Universitätsverlag Halle-Wittenberg, Halle 2020, S. 81–84, 273f. (zur Spruchtätigkeit) – Inhaltsverzeichnis

Literatur zu Fällen und Spezialthemen der Spruchtätigkeit

Heiner Lück: Verbrechen am Rande der Grube. Aus der Spruchpraxis der Wittenberger Juristenfakultät für Eisleben und Umgebung, in: Rosemarie Knape (Hg.), Martin Luther und der Bergbau im Mansfelder Land. Aufsätze, Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Lutherstadt Eisleben 2000, S. 339–353

Heiner Lück: Kardinal Albrecht versus Hans Schenitz. Ein Prozess nach sächsischem Recht 1534/35, in: Lutherjahrbuch. Organ der internationalen Lutherforschung 74 (2007), S. 133–152

Gegenstand des Artikels ist ein spektakulärer Rechtsstreit: Kardinal Albrecht, Erzbischof von Magdeburg versus Hans Schenitz, Albrechts vormaliger Kämmerer. Letzterem wurde unter anderem die Veruntreuung von Geldern vorgeworfen. Delikat an dem reichsweit beachteten Prozess war, dass die Räte Albrechts, scharfer Gegner der Reformation, ausgerechnet von der Wittenberger Juristenfakultät, namentlich von Hieronymus Schurff, ein Gutachten zur Rechtmäßigkeit des Prozesses einholten. Das Verfahren endete mit der Hinrichtung von Schenitz.

Konrad Amann: Kirchenrecht und „Unterricht der Visitatoren“. Die Consilia des Hieronymus Schurff, in: Joachim Bauer/Stefan Michel (Hg.), Der „Unterricht der Visitatoren“ und die Durchsetzung der Reformation in Kursachsen (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie Bd. 29), Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2017, S. 129–150

Manfred Wilde: Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen, Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 348–353 zur Bedeutung der Wittenberger Spruchbehörde – Inhaltsverzeichnis

In der Habilitationsschrift werden der rechtliche Rahmen, Voraussetzungen, Gerichtsstruktur und beteiligte Institutionen und Personen der Hexereiverfahren in Kursachsen vom 13. bis zum 18. Jahrhundert untersucht. In Abschnitt 2.6 steht die Spruchtätigkeit der Wittenberger Juristenfakultät im Mittelpunkt: „Das Hofgericht, der Schöffenstuhl und die Juristenfakultät zu Wittenberg und deren Spruchtätigkeit in kursächsischen Hexenprozessen“.

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